Im Gespräch mit Deutschlands erster Radprofessorin

Prof. Dr. Jana Kühl ist Professorin für Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter und Alumni der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Beim Internationalen Städteforum sprach sie zuletzt in Kiel zur zukunftsfähigen und nachhaltigen Mobilität über die Mobilitätswende.

Olga Grytska
Prof. Jana Kühl
Prof. Dr. Jana Kühl, Professorin für Radverkehrsmanagement in Salzgitter
© Ostfalia, Philipp Ziebart

Kiels Vorbildfunktion für deutsches Radverkehrsmanagement

 

Frau Kühl, Sie sind die erste Professorin Radverkehrsmanagement in Deutschland. Wie sind Sie dazu gekommen?

Prof. Dr. Jana Kühl: Dass diese Professur überhaupt geschaffen wurde, ist international tatsächlich ein Novum: Mit sieben vom Bundesverkehrsministerium bundesweit ausgeschriebenen Stiftungsprofessuren hat Deutschland politisch einen kleinen Fortschritt gewagt. Darunter ist auch die Professur für Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter. Eigentlich habe ich Geografie an der CAU zu Kiel studiert, dann habe ich mich an der TU Dortmund mit raumplanerischen Fragen auseinandergesetzt und mich an der Universität Kiel mit den Anforderungen an die nachhaltige Mobilität beschäftigt. Darum hat mich die Herausforderung dieser Stelle, auch im Zusammenhang mit dem Radverkehr als meinem persönlichen Forschungsanliegen, sehr interessiert.
 

Was gehört dabei zu Ihren Aufgaben?

Meine Aufgabe ist es, zum Beispiel Verkehrsmanagementstudierende für Radverkehr zu sensibilisieren, sodass sie im Idealfall auch selber gute Radverkehrslösungen entwickeln können. Denn wir haben in dem Bereich einen extremen Fachkräftemangel, weil er stark vernachlässigt und Nachwuchs nicht ausgebildet worden ist. Zusätzlich ist es für mich wichtig, in anderen Bereichen, wie Stadt- und Regional-, Tourismusmanagement, Medien und Kommunikation, Radverkehrsfragen zu behandeln, um eine gemeinsame Sprache aufzubauen und auf das Thema aufmerksam zu machen.

In meinem Forschungsbereich geht es mehr um gesellschaftliche Herausforderungen: Wie gelingt eine Veränderung mit sich vielfach eingeschlichenen Mobilitätspraktiken? Wie können wir in Hinblick auf einen Mobilitätswandel andere Mobilitätskulturen entwickeln und einführen? Vor allem geht es aber immer wieder um den Aushandlungsprozess zwischen den unterschiedlichen Verkehrsarten – wie kommen wir da zu einem besseren Miteinander…
 

Ganz allgemein, wie beurteilen Sie die aktuelle Fahrradverkehrssituation in Kiel? Sind Sie als Studierende der CAU zu Kiel gerne mit dem Fahrrad in Kiel unterwegs gewesen?

Ich bin nach wie vor sehr gerne da und fahre gerne in Kiel Fahrrad. Natürlich kommt es auf den Vergleich an, aber die Grundlage in Kiel ist gut. Die Stadt hat die Infrastruktur früh ausgebaut, Velorouten geschaffen und ist bemüht, das Miteinander zwischen Radfahrer*innen und Autofahrer*innen zu organisieren. Dennoch hat Kiel Potenzial, das Radfahren und das Zufußgehen deutlich attraktiver zu machen.
 

Nehmen Sie Kiel als eine Fahrradstadt wahr?

Ja und nein. Es gibt Mängel dadurch, dass nicht konsequent an Rad- und Fußverkehr gedacht wird, insbesondere hinsichtlich der Sicherheit. Die Radverkehrsangebote sind oft zu kompromisslastig – es wird zu häufig eher darauf geachtet, keine Veränderungen zum Nachteil vom Kfz-Verkehr einzuführen. Das hat zur Folge, dass die Fahrradverkehrswege konfliktbehaftet sind. So werden jedoch nicht mehr Menschen aufs Rad umsteigen, vor allem nicht Unsichere, Ungeübte oder Eltern mit Kindern. Dafür werden Infrastrukturen benötigt, die nicht oder nicht ausreichend vorhanden sind. Deshalb muss vor allem grundlegenden sicherheitsrelevanten Problemen begegnet werden.
 

Was halten Sie von dem Vorhaben der Stadt, den Öffentlichen Personennahverkehr neu zu konzipieren und in diesem Zuge gegebenenfalls eine Straßenbahn ins Stadtbild wiederzubringen?

Nachhaltige Mobilität ist immer eine Mischung aus verschiedenen Verkehrssystemen. Insofern ist es auch für den Radverkehr wichtig, ein gutes ÖPNV Netz auszubauen. Wenn möglichst viele Menschen vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umsteigen, wird der Stadtverkehr von Autos entlastet und die Aufenthaltsqualität steigt. Wir brauchen eine Verlagerung auf emissionsärmere und emissionsfreie Verkehrsmittel, gleichzeitig haben wir zu wenig Platz in der Stadt für die Verkehrswege. Daher ist die Entlastung vom Autoverkehr beziehungsweise ein Umstieg vom Auto auf andere Verkehrsmittel in doppelter Hinsicht gut.

Aufgrund der bereits vorhandenen Infrastrukturen hat Kiel hat unglaubliches Potenzial, eine Vorbild- und eine Vorreiterfunktion für den Radverkehr.

Was muss dabei im Hinblick auf die Radfahrenden berücksichtigt werden?

Der Ausbau des ÖPNVs darf nicht auf Kosten des Rad- und Fußverkehrs stattfinden und das hängt von der Verkehrsflächenverteilung ab. Aktuell nimmt der Kfz-Verkehr am meisten Fläche ein, daher ist es eine Umverteilungsfrage. Entscheidend sind das konfliktfreie Miteinander und die Verknüpfung, also die Umstiegs-Möglichkeiten, zwischen den Verkehrsmitteln. Auch Mobilitätspunkte funktionieren nur, wenn das Angebot, innerhalb ebenso wie außerhalb der Stadtgrenzen, ausreichend ausgebaut ist. Das ist extrem wichtig, damit die Wegekette funktioniert und attraktiv ist.
 

Welche Vorteile hätten ein Schnell-Bus-System oder eine Tram?

Die Städte, die besonders gut im Umweltverbund sind, haben in der Regel eine Tram. Sie bildet ein attraktives und gut von den Nutzer*innen wahrgenommenes Angebot. Allerdings ist eine Tram auf bestimmte Achsen beschränkt. Ein Schnellbussystem ist flexibler – es kann nachträglich angepasst und feingliedriger ausgebaut werden, wenn die Kapazitäten und die Finanzierung da sind.
 

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Förde für die Mobilität in Kiel?

Wenn die Förde-Schiffe gut in das Verkehrsnetz eingebaut sind, dann gewinnt es für die Pendler*innen extrem an Attraktivität, das Angebot zu nutzen. Ausschlaggebend ist dabei die Integration in das Gesamtnetz mit der Verknüpfung der Verkehrsarten. 
 

Zum Schluss: Was wünschen Sie sich für Radfahrer*innen in Deutschland?

Zunächst einmal zu Kiel: Aufgrund der bereits vorhandenen Infrastrukturen hat Kiel hat unglaubliches Potenzial, eine Vorbild- und eine Vorreiterfunktion für den Radverkehr. Es fehlt an Entschlossenheit in der Fuß- und Radverkehrsförderung, die Potenziale zu nutzen. Eine Kombination aus dem neuen ÖPVN-System sowie gutem Fuß- und Radverkehrsnetz würde Kiel noch lebenswerter machen.

Die meisten Städte in Deutschland stehen vor ähnlichen Herausforderungen: Wie gehen wir mit einem auf Kfz-Verkehr ausgelegten Verkehrsnetz um? Was machen wir mit all den Menschen, die nicht aufs Fahrrad umzusteigen möchten oder können? Wie schaffen wir es, attraktive und überzeugende Angebote zu schaffen? Da muss man eben mit richtig guten Angeboten in Vorleistung gehen.

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