Neues Logistikkonzept jenseits des Lieferwagens: Pakettransport mit der Straßenbahn

In der Mobilitätswende sind neue Lösungen für den Transport von Bestellungen an die Haustür gefragt. Zum Beispiel die Lieferung per Straßenbahn. An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wird solch ein System untersucht. Damit es funktioniert, muss es gut durchdacht sein.

Lena Hörsting
© Ramboll

Laut dem Handelsverband Deutschland (HDE) ist der Umsatz des Onlinehandels in der Vergangenheit stetig gestiegen – zuletzt auf 87 Milliarden Euro im Jahr 2021, ein Zuwachs um 19,1% im Vergleich zum Vorjahr. Leider ist diese Entwicklung auch auf den Straßen bemerkbar. Lieferwagen belasten den Verkehr und blockieren die Gehwege.

Um diesem Trend entgegenzuwirken, beschäftigen sich zahlreichende Forschende weltweit mit der Frage, wie der Transport auf der sogenannten "letzten Meile" nachhaltiger gestaltet werden kann. Die letzte Meile beschreibt in der Logistik den letzten Teilabschnitt in der Lieferkette – das ist im Paketversand in den meisten Fällen der Weg vom Distributionszentrum bis zur Haustür des Empfängers. Die vorgeschlagenen Lösungen reichen vom Umstieg auf Cargo-Bikes über Micro-Depots bis zum Einsatz von Drohnen.

Eine weitere Idee besteht darin, den Pakettransport zum Teil in das Straßenbahnnetz zu integrieren. Allerdings muss ein solches System sehr gut durchdacht sein, damit es funktionieren kann. In den Pilotprojekten LastMileTram (Frankfurt am Main) oder LogIKTram (Karlsruhe) wurde und wird dieser Ansatz getestet.

Mit der Mathematik und Simulationen zur Lösung

Am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wird diese Idee ebenfalls untersucht: Wir, die Professur für Service Analytics, nehmen das Problem aus einer analytischen Perspektive unter die Lupe. Denn bevor auch nur ein Paket das Innere der Straßenbahn sieht, müssen zunächst eine ganze Reihe an Planungsentscheidungen getroffen werden. An welchen Stationen könnten Pakete eingeladen werden? Zu welchen Zeiten ist ein Transport möglich? Werden zusätzliche Fahrzeuge benötigt oder ist der Einsatz von Güterwaggons empfehlenswert? 

Um Antworten auf solche Fragen zu erhalten, werden diese Planungsprobleme mithilfe der mathematischen Optimierung modelliert und gelöst. In unserer aktuellen Forschung untersuchen wir zum Beispiel wie der Fahrplan für eine Straßenbahnlinie aussehen sollte, damit die Fahrgäste im Durchschnitt nicht lange auf die nächste Straßenbahn warten müssen und Pakete möglichst pünktlich geliefert werden. Außerdem ermitteln wir, wie viele und welche Paketaufträge überhaupt angenommen werden können, ohne das Straßenbahnnetz zu überlasten. Da dieses Optimierungsproblem mit zunehmender Netzwerkgröße sehr komplex wird, setzen wir außerdem eine Heuristik ein. Eine Heuristik ist ein Algorithmus, der nicht garantiert, eine optimale Lösung des Problems zu finden, aber innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne eine sehr gute Lösung finden soll.

In der Computersimulation steigen Personen zufällig an den Stationen ein und aus und Pakete treffen am Depot ein. Nach welchem Fahrplan eine Straßenbahn fährt und wie viele Pakete sie transportiert, wird vorher optimiert.

Ein möglicher Nachteil der Verwendung von mathematischer Optimierung besteht darin, dass eine optimale Lösung immer von der Definition des Ziels abhängt. So kann zum Beispiel die  durchschnittliche Wartezeit der Fahrgäste auf Kosten der Pünktlichkeit von Paketen minimiert werden. Die Lösungsqualität wird also nur anhand einer Auswahl von vordefinierten Faktoren ausgewertet. Aus diesem Grund setzen wir zusätzlich eine stochastische Computersimulation ein. Die virtuellen Straßenbahnen durchfahren den berechneten Fahrplan mehrere hunderte Male – wobei unter anderem die Fahrgastzahlen und die Fahrtdauer in jedem Durchlauf variieren. So können wir nicht nur die Wartezeiten, sondern zum Beispiel die Fahrtdauer oder die Verspätungen evaluieren. Außerdem ermöglicht eine Simulation sogenannte „What if“-Analysen („Was wäre wenn“). Mithilfe alternativer Szenarien können wir den Effekt von Änderungen auf das System untersuchen – zum Beispiel welchen Effekt ein höheres Liefervolumen auf die Verspätungen der Straßenbahn hätte.

Wie das Paket von morgen zu seinem Zielort kommt, kann natürlich niemand vorhersagen. Allerdings ist nicht nur im Personenverkehr ein Umdenken des Status Quo notwendig. Es ist wichtig, dass wir uns mit neuen Mobilitätskonzepten abseits des klassischen Lieferwagens befassen. Damit auch zukünftige Generationen sorgenfrei Pakete empfangen können – vielleicht sogar per Straßenbahn.

Mehr Informationen zum Projekt gibt es auf der Website der Professur.

Literatur

  • Cleophas C, Cottrill C, Ehmke JF, Tierney K, 2019,Collaborative urban transportation: Recent advances in theory and practice. European Journal of Operational Research 273(3):801-816.
  • Handelsverband Deutschland, HDE Online-Monitor, 2022. Link: https://einzelhandel.de/online-monitor (zuletzt abgerufen am 13.07.2022)
  • Hörsting L and Cleophas C, 2023, Scheduling shared passenger and freight transport on a fixed infrastructure, European Journal of Operational Research, 306(3):1158-1169. https://doi.org/10.1016/j.ejor.2022.07.043
  • Hörsting L and Cleophas C, im Druck, Integrating Micro-Depot Freight Transport in Existing Public Transport Services, Operation Research Forum, Preprint verfügbar auf Research Square: https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-2530347/v1

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